Dienstag, 12. Juni 2018

S(h)ipping


Ein Mann wollte an Bord der Fähre gehen in Bellingham. Er sah schon ein wenig kurios aus, mit seinem quadratischen Schädel, obendrauf einen Sonnenhut, der wohl eher für eine Frau gemacht war, ein verschlissener Rucksack und ein paar Plastikbeutel. Er zeigte sein Ticket vorn an der Brücke und ging aufs Schiff. Am landseitigen Ende der Brücke gabs derweil einen kleinen Tumult.
Aus der diskutierenden Menge löste sich ein Polizist, dann ein Angestellter der Fährgesellschaft.
Sie liefen dem Mann nach, der inzwischen in dem riesigen Tor der Fähre verschwunden war.

Ein paar Minuten später kamen sie wieder raus, den Mann zwischen sich, der heftig mit ihnen diskutierte. Alle standen dann lange zusammen, zwei weitere Polizisten kamen dazu und ein Hund, der das Gepäck des Mannes beschnüffelte. Der Polizist, der den Hund an der Leine führte schüttelte den Kopf, offenbar waren keine Drogen im Rucksack oder einem der Beutel.

Trotzdem liessen sie den Mann nicht auf die Fähre. Er stand mit seinem Gerümpel an Land und wartete … sicher 2 Stunden lang.
Irgendwann kam jemand im Auto von der Coast Guard dazu, hatte einen Stapel Papiere dabei, reichte sie rum, alle blätterten fleissig, diskutierten wieder. Dann ging einer zu dem Mann, redete mit ihm und der schnappte sich sein Zeug und ging wieder an Bord.

Er hat jetzt eine Kabine schräg gegenüber von meiner. Er fragte mich um Hilfe, weil er mit dem Türschloss nicht klar kam und ich fragte ihn, was denn los gewesen sei. 
Er habe keine Photo-ID (gültiger Ausweis mit Foto / Reisepass …) … ohne käme man eben nirgendwo hin.
Ich musste lachen, erzählte ihm, dass ich in Seattle ohne Photo-ID nicht mal `n Bier bekommen habe. Er guckte mich sehr streng an und sagte, er trinke nie Alkohol und er rauche auch nicht, das sei nicht gut. Er habe übrigens deswegen keinen Ausweis, weil er ihn weggeworfen hätte, Ausweise seinen auch nicht gut.

Der Kerl kam mir komisch vor und nervte. Ich sagte ihm klar, dass das seine Sache sei und liess ihn mit seinem Türschloss stehen.

Später sah ich ihn in einem der Aufenthaltsräume die Bilderbücher ausmalen, die eigentlich für die Kinder an Bord rumliegen. Dabei war er ganz eifrig und konzentriert, guckte aber kurz hoch, als ich vorbei ging.
Abends klopfte er dann an meine Tür und fragte ob ich ihm nochmal bei seinem Türschloss helfen könne … ich half.
Beim nächsten Morgen passte er mich offensichtlich an der Treppe ab, fragte wieder ob ich ihm helfe.
Ich fragte ihn ob er es selber mal probiert habe. Nein … habe er nicht … ich könne das ja viel besser.

Da platzt selbst dem blödsten Sozialpädagogen der Kragen.
Ich hab ihn angemotzt und ihm gesagt, er solle lernen sich selber zu helfen oder sich ein Mitglied der Mannschaft holen.
Er fing sofort an von Gott zu reden, und dass wir alle uns gegenseitig in Liebe begegnen müssten und wir alle Brüder und Schwestern seinen.
Als ich ihn stehen liess, wurde er lauter, begann regelrecht zu predigen und (vermutlich) Bibelzitate  zu rezitieren.

Das war nun also der Zweite eingeschworene Christ, der mir begegnete.

Als Kind … ich war vielleicht 5 oder 6 Jahre alt, gingen meine Eltern ab und zu mit uns in die Kirche. Ich erinnere mich, dass ich schon in dem Alter geödet war von der immer gleichen Zeremonie. Keine Knalleffekte und keines der Wunder von dem immer alle sprachen, niemand lachte, man durfte nicht reden sondern musste still sitzen … mit kurzen Worten: eine stinklangweilige Veranstaltung.
Dann kam der Konfirmandenunterricht und … das mag nun aber wirklich an mir liegen … die einzige Information, die mir damals interessant erschien, war, dass ein Mann, wenn seine Frau die Tage hat, etwas Geduld mit ihr haben solle. Mmmh … O.K. … das lässt sich machen.
Sonst noch was? 


Ach ja, die 10 Gebote!

Man soll niemand umbringen! 
… finde ich gut … war aber eigentlich klar, passierte trotzdem … überall … damals vorzugsweise in Vietnam.

Mann soll nicht hinter den Frauen von anderen Männern her sein!
… das nu wieder kam mir doch etwas seltsam vor, als hätten die Frauen dabei gar nix zu melden … und sie durften also hinter den Männern von anderen Frauen her sein?

Man soll an keinen anderen Gott glauben als an eben diesen!
… ähm … wie jez?? Dann sind die Buddhisten, Muslime, Juden, Hindus also alle auf dem falschen Dampfer? … alles Idioten, Blindgänger, Volltrottel? Das nu fand ich bisschen anmassend!

… na und so weiter … den Rest hab ich vergessen … aber wen es interessiert, es steht sicher in jeder handelsüblichen Bibel drin.

Ich weiss, ich wiederhole mich … aber spätestens seit Neil Armstrong zum Mond geflogen ist, sollte jedem klar sein, dass da oben nix is … ausser dem Mond eben.

So fällt es mir furchtbar schwer diesen ganzen Predigern, Aposteln, Gutbetern, Priestern, Patern, Rabbies, Gurus, Imame und sonstigen Heiligen irgendwie mit dem erwarteten Respekt zu begegnen.

Ich verstehe nicht, wie man seine eigenen ethischen Überlegungen, seine Moral, seine eigenen Ideen und Wertvorstellungen, entäussern kann an irgendwas „da oben oder da unten oder sonst irgendwo“ an irgendein imaginäres Wesen, dem nie jemand begegnet ist, das nie jemanden umarmt hat.
So wie die Verkäuferin heute, die unerwartet aus einer Türe gestürmt kam im Supermarkt, mit mir zusammenkrache und dabei einen Karton mit Einwegrasierern fallen liess. Die einzeln verpackten Dinger rauschten wie eine gelbe Flut über den Fussboden.
Ich half ihr beim Einsammeln und erzählte ihr, dass ich genau wegen so einem Rasierer hier sei … aber ich brauche nur einen … Sie daraufhin, auf den Knien wie ich, fing an zu lachen und sagte: „Such Dir einen aus!“ Dann nahm sie Einen, hielt ihn kurz gegen`s Licht und fuhr fort „Der hier sieht ganz gut aus!“
Als alle wieder im Karton waren, umarmte sie mich, drückte mir einen Kuss auf den Hals, sagte „Thanks honey“ und „sorry!!“ und flatterte mit ihrem Karton davon … ich stand noch einen Weile da, grinste blöde, fühlte die nasse Stelle unter meinem Ohr und ging dann den Rasierer bezahlen.

Das nenn ich eine Begegnung! … so fängt ein guter Tag an!

Ich glaube nicht, dass ich diese Frau in einem Krieg erschiessen könnte.
… auch sonst niemanden, fürchte ich!
Ich glaube nicht, dass ich sie anbaggern möchte, wenn sie mit ihrem Mann glücklich ist.
Ich fand sie echt nett, wär interessant, sie baggert mich an, falls sie nicht glücklich ist.
Falls sie es tut, wünsche ich mir, dass sie nicht versucht mich zu irgendwas zu bekehren.

So mache ich mir meine Gedanken über diese Amerikaner und ihre Religiosität und frage mich, ob das auch was mit der dumpfen Atmosphäre zu tun hat, die diese unsägliche Regierung ausdünstet.

Während ich so vor mich hinsinne, hat sich das Wetter verschlechtert, das Schiff fährt durch einen Regenschauer und dann den nächsten.
Die Berge werden höher, die Gipfel verschwinden in Wolken und Nebel. 
Keine Sonne  mehr - keine Fotos mehr … „Ohne Licht geht das nicht“

Morgen früh um 7:00h erreichen wir Juneau, die Hauptstadt des Bundesstaates Alaska.
Für eine Hauptstadt sehr am Rande des Staate gelegen. Sei`s drum … ich freue mich auf einen Landgang, auf Free Wifi auf ein paar andere Gesichter … die auf der Fähre kenne ich nun wohl alle … vom Sehen.

NACHTRAG
Am Morgen des 12.6. um 5:55h:
verschneite Berge und ein Gletscher
angekommen in Juneau .... "Scheisse is das schön hier!" entwich mir ... in der Gruppe auf dem Vorderdeck lachte jemand und sagte "ja Scheisse!!" ... da spricht offenbar jemand deutsch ... mit amerikanischem Akzent ... keine Ahnung wer!

O.K. das 2. x das ich ein Restaurant (o.ä.) empfehle.
In Juneau das „Baranof Café“ unten am gleichnamigen Hotel.
  1. gutes Wifi
  2. guter Kafi
  3. gute Laune
  4. Wo? 127 N Franklin St, Juneau, AK 99801

geschrieben auf der Fähre des Alaska Marine Highways „Kennicott“ 11. Juni 2018 um 18:27h
gepostet am 12. Juni 2018 irgendwo in Juneau (Alaska)

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