Sonntag, 8. April 2018

Sleeping

Eigentlich bin ich ein Sofakind.
Ich erinnere mich noch an die erste elterliche Wohnung.
Die Schese
Das grösste Zimmer hatte meine Grossmutter. In der Mitte ein hölzerner Esstisch, links der kohlebetriebene Herd, daneben der Küchenschrank, der heute mein Küchenschrank ist und rechts ihr Bett. 
In diesem Zimmer fand das Familienleben statt. Auf dem Herd kochte meine Grossmutter das Essen für die Familie, jedenfalls in jenen Jahren, als Mutter und Vater beide zur Arbeit gingen. Es riecht nach Kohlen oder verbrennendem Holz, nach siedendem Fleisch und Kohlwasser in meiner Erinnerung. 
Hier spielten wir Kinder und hier wurde gegessen.*
Es gab ein Wohnzimmer, das aber nur am Abend genutzt wurde, zum Ausruhen, Musik hören oder wenn Besuch kam. Einen Fernseher gab es damals nicht, auch kein Telefon, nur ein altes Radio, dass damals noch gar nicht sooo alt war. 
Eine kleine Küche , in der niemand kochte, in der es aber, am Morgen das Frühstück gab. Hier versuchte meine Mutter mit wachsender Verzweiflung, über Jahre, die „Zitronenrolle“, die sie in einem ihrer Backbücher gefunden hatte, nachzumachen. 
Ausgekittete Einschlagspuren von Kochutensilien in der Küchentüre waren Indizien für einen ihrer Wutausbrüche, wenn das „verdammte Scheissding“ (Originalton) mal wieder gebrochen war.

Es gab ausserdem noch ein Badezimmer mit einem einzigen Waschbecken und einer Wanne, einem ebenfalls kohlebefeuerten Heizkessel fürs Warmwasser und einem Klo.

Und natürlich gab es ein Schlafzimmer für die Eltern, den Bruder und mich. 
Ja alle vier in einem Zimmer!
Mein Kinderbett stand rechts hinter der Türe, das meines Bruders grad nebendran.
In der Mitte des Raums, das Doppelbett der Eltern und links neben der Türe der Kleiderschrank.
An dessen goldenen Schlüsseln hingen tanggrüne Bommeln, die mich ewigs faszinierten.

Mein Kinderbett hatte ein Gitter, vermutlich, damit ich nicht abhauen konnte. 
Es war dunkelbraun, hochglanzlackiert und ich pulte diesen Lack, wenn ich nicht schlafen konnte, ab. 
Irgendwo hatte ich eine Schwachstelle gefunden, eine Blase im Anstrich oder ein Riss, den ich nun Nacht für Nacht erweiterte. Ich konnte in diesem Bett nicht wirklich gut schlafen. Vielleicht auch weil die permanente elterliche Präsenz oder einfach nur das Schnarchen meines Vaters mich störte. 
Ich glaub ich hasste dieses Bett ... aber das ist schon sehr lange her.

Die Erinnerungen sind natürlich lückenhaft, die kleinkindliche Amnesie lässt eigentlich nicht mehr als ein paar Bohrproben zurück. Aber, soweit ich mich erinnere, zog ich, direkt vom dem verdammten Kinderbett, auf ein Sofa um, zeitgleich mit dem Umzug unserer Familie. 
Meine Eltern hatten in einem Dorf, ein wenig ausserhalb, ein Haus gebaut. 
Aber dieses Sofa war nicht mal ein Sofa, sondern eher das, was die Franzosen einen „Langen Stuhl“ nennen, eine Chaiselongue … eingedeutscht und abgekürzt, eine Schese [ˈʃeːzə]

So schlief ich also in den folgenden Jahren auf diesem Sofa, dieser Schese, bevor ich dann, irgendwann in den 70ern mein erstes Bett bekam. Aber glücklich war ich nicht mit diesem Bett. Mir fehlte mein Sofa, mit dem hart gepolsterten Kopfteil. Statt dessen gabs jetzt ein Kopfkissen, dass ich mir erst zurechtpuffen musste bevor es einigermassen bequem war. 

Kaum hatte ich das elterliche Haus verlassen, lebte im Norden auf einer Insel, baute ich mir selber ein Bett. Damals bauten man Hochbetten, vermutlich, weil in den WGs, die ich kannte jeder nur ein Zimmer hatte und mit dem Platz haushalten musste. Meist war unter dem Bett dann der Arbeitsplatz, der Schreibtisch und Bücherregale.
Nicht so bei mir! Unter meinem Hochbett, das ich ringsum mit weissen Tüchern abhängte, baute ich aus Matratzen und Decken eine Art von Beduinenzelt, mit einem kleinen Tischen in der Mitte, fürs Bier und den Aschenbecher, die auf den Matratzen dauernd umkippten.
Dort sass ich mit den Freunden und wir soffen und qualmten und quasselten durch die Nächte. 
Die Freunde nannten mein Zelt nur "Die Frauenfalle".
Ich gebe zu, es war ausgezeichnet für ein Tête-à-Tête geeignet und ich verdanke der heimeligen, geschützen Atmosphäre sicher einige ziemlich prima Nächte.
Aber letztlich gingen doch weit weniger Frauen in die "Falle", als ich mir gewünscht hätte und die Gerüchte, die ich damals gern durch lächelndes Schweigen befeuerte, besagten.
Geschlafen habe ich oben in dem Hochbett eigentlich nie, ich kuschelte mich in mein Zelt, deckte mich zu, mit dem was grad da war ... aber in dem Alter hab ich eh nie Mühe mit schlafen.

Eigentlich hab ich mir das Schlafen wohl bei unseren Hunden und Katzen abgeguckt. Die suchen sich einfach irgendein gemütliches Plätzen, legen sich hin und schlafen. Fertig.
So schlafe ich bis heute nur ungern in Betten. Mir scheint immer als "müsse" ich schlafen, wenn ich mich in ein Bett lege. Das nervt und hält mich wach.
Lieber liege ich auf meinem Sofa, da "darf" ich schlafen.
Aber ich darf auch wach sein, essen, trinken, in der Nase bohren, fernsehgucken, rumspinnen, Geschichten schreiben oder was man eben sonst so alles auf einem Sofa machen kann.


Heute mein Lieblingssofa, tief in der Nacht, ich glücklich schlaflos, die Bettdecke um die Schultern gehängt, im Vorbeigehen geknipst.


Wer jetzt sich noch schlaflos in seinem Bett rumwälzt, für den habe ich somit einen guten Rat.
Der kluge Leser ahnt welchen, der weniger kluge wälzt weiter.

Gute Nacht ⭐️🌙 


* womit wohl auch meine Liebe zu WohnKüchen erklärt ist