Donnerstag, 13. April 2017

CLAMORING



Ich will das gar nicht so sehr in den Vordergrund drängen, meine Art Geschichten zu schreiben. 
Ich schreibe einfach, so wie andere vielleicht ihren Rasen mähen.
Nun kann man den Rasen auf die eine oder andere Art und Weise mähen.
So muss ich eben auch sagen, dass in einem Teil der Artikel in diesem Blog sich Realität und Imagination mischen.
Das genau Mischungsverhältnis muss jedoch, vielleicht nachvollziehbarer Weise, das  Werksgeheimnis dieses Schreiberlings bleiben.

So kann der aufgeweckte Leser sich auf die Suche machen nach dem wahren Kern der Erzählung, was ich persönlich als die zweitschlauste Intention erachte, oder … und das scheint mir, je nach Tages-  bzw. Charakterdisposition … das Verbindlichere zwischen uns, er versucht seinen Sinnen zu folgen und zu erschnüffeln, was diese Mischung für ein Aroma für ihn bereit hält.

Die folgende Geschichte hat nun weniger vom süsslich-ätherischen Duft der Einbildung und dafür mehr den scharf-bitteren Geschmack des Tatsächlichen.

Ohne all zu weit ausholen zu wollen, scheint es mir jedoch wichtig, nur um das volle Bouquet auf der Palette zu haben, hier kurz anzudeuten was davor geschah.

Ich solle etwas abnehmen hatte mir mein Doc gesagt, wegen der Blutfettwerte und den Gefässen und wegen des Altwerdens. Nicht, das ich je täte, was mir jemand sagt, wenn ich es nicht als sinnvoll erachte, es sei denn ich muss davon meinen Lebensunterhalt bestreiten, habe ich diesmal doch genickt und „ja“ gesagt und mich dran gemacht, dem zu folgen.

So versuche ich mich regelmässig zu bewegen. Da ich jedoch jede Form von Sport als höchst albern empfinde, besonders die Radfahrer kommen mir immer vor, wie diese Spielzeug-Stoffaffen auf kleinen Drahteseln, die batteriebetrieben hastig strampeln ohne je wohin zu kommen ... von diesen Joggern will ich gar nicht erst reden.

So bleibt nicht viel ausser Laufen … und ich meine nicht rennen … denn ich habs ja nicht eilig, ich meine Gehen.
Das klappt nicht jeden Tag, wegen des Jobs und manchmal klappt es auch nicht, weil ich den Arsch nicht vom Sofa bringe. 
Aber da ich mich nach dem Gehen besser fühle, irgendwie stolz und weniger angetrieben bin als sonst, hat mein Reptilienhirn inzwischen auf das Belohnungssystem umgeschaltet und ich geniesse die regelmässigen Ausflüge.

So kam ich also letzte Woche von einem meiner Gänge aus dem Stadtwald zurück ...

Müde und zufrieden und etwas ausser Puste stehe ich vor der Haustüre.
Ich hatte zudem Hunger und meine Lust wäre eine Portion Reis gewesen. Allerdings versuche ich dem Übergewicht nicht nur durch Bewegung sondern auch durch den Verzicht auf Kohlehydrate zu entkommen. Also Pustekuchen mit Reis!

… ich komme also aus dem Stadtwald zurück, heftig schnaufend und höre schon draussen, vor dem Haus, lautes Gerede. 
Im Eingangsbereich, vor der Etagentüre der uralten malaiische Frau im Erdgeschoss, brüllen sich grad Ebendiese und ihr temperamentvolle spanische Nachbarin an.
Die Spanierin kann, ausser Spanisch, so einigermassen deutsch, die alte Malaiin kann jedoch nur malaiisch.

Die beiden, als sie mich sehen, zerren mich mit vereinter Kraft in die Wohnung der Alten und schwatzen in all ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen auf mich ein und zeigen und deuten und halten mir ein Packet Reis vor die Nase.

Nach und nach verstehe ich, dass es drum geht eine Portion Reis zu kochen, aber der Herd nicht mehr am Stromnetz hängt, weil die alte Dame mehrfach vergessen hat, die Kochplatten wieder abzustellen und die Gefahr besteht, dass sie uns das Haus abfackelt.
Offenbar glauben die beiden, ich könnte und würde den Herd wieder anschliessen, damit die Alte sich Reis kochen kann.

Natürlich werde ich das nicht tun, ebenso natürlich ist jedoch, dass das den Frauen mit Bordmitteln nicht klar zu machen ist.
Ich verabschiede mich also, gehe in meine Wohnung, setze Reis im Reiskocher auf, übersetze folgenden Satz mit dem Translator auf Malaiisch und Spanisch.
 „Ich werde Ihren Herd nicht anschliessen. Ich koche Ihnen eine Portion Reis“ 

Dann mit den ausgedruckten Texten wieder ab ins Erdgeschoss.
Die Alte zetert noch immer mit der Spanierin, die zetert auch noch immer. 
Ich drücke Ihnen je einen Zettel in die Hand. Beide lesen und gucken mich fragend an, einen Moment ist mal Ruhe, dann geht das Gekeife wieder los.

O.K. … ich nehme Ihnen die Zettel wieder weg und tausche sie aus. 
SORRY! ... mein Fehler!!
Beide lesen wieder und gucken wieder fragend.

Ich mache die internationale Gebärde für „Essen“ und warte auf sowas wie das internationale Zeichen für „Danke“ oder ein Lächeln oder sonstwas Positives.

Stattdessen schreien nun beide mich an, als habe ich Ihnen unsittliche Anträge gemacht oder sei sonst ein Schwein. Also nix wie weg, in der Regel ist mir schon eine keifende Frau zu viel … aber das hier … Foftain kratzt die Kurve!

Den fertigen Reis essen ich selber, muss grinsen dabei … ob der seltsamen Winkelzüge des Lebens … und wie ich trotz der LowCarb Ernährungsumstellung zu meiner ersehnten Schüssel Reis kam, wegen einer vergesslichen uralten Malaiin und einer wilden Spanierin.

Für was reise ich eigentlich um die Welt?


Luzern, Donnerstag, 13. April 2017

Montag, 10. April 2017

CLEARING UP


1965


Wir lösen zur Zeit unser Elternhaus auf.

In mein Leben fliesst eine bittersüsse Note und das Strandgut von über 100 Jahren Familiengeschichte, das beim Räumen der Schränke aufgedeckt wird.

Ramsch und Relikte, Rettenswertes und Redundantes wie aus einem Füllhorn überschwemmen mich. Von der Schuldverschreibung meines Grossvaters, den ich nie kannte, bis zum xt-gleichen Foto von irgendwelchen Kegeltouren meines Vaters aus den 70ern.

Entscheidungen müssen getroffen werden, was von alle dem Gesammelten, Vergammelten und ehemals für Wert befundenen nun behalten wird, was Teil der Geschichte bleibt und was davon auf die Müllkippe oder in den Reisswolf gehört.



Das Elternhaus werde ich nicht wieder sehen, denke ich.
Trinke noch ein Bier auf dem Friedhof, am Grab des Vaters, kippe die Hälfte auf die Erde über der Urne. 
Prost, alter Mann, das ist wohl unser letztes gemeinsames Bier“.

Obwohl ich vor über 40 Jahren fort ging von dort, fällt mir der endgültige Abschied überraschend schwer.
Ein paar Photos nehme ich mit, die meine Mutter nicht möchte, rette ein paar Bücher vor dem Container, eine alte kaputte Kamera, an die ich mich aus Kindertagen erinnere, eine Laubsägearbeit meines Vaters.

Fahre nach drei Tagen mit etwas aufgeschürfter Seele wieder heim und arrangiere das Mitgenommene in meiner eigenen Wohnung, die dereinst ebenso geräumt werden wird, wie das Elternhaus.

Die Dinge werden magisch durch die Erinnerungen, mit denen sie verbunden sind. 
Die Erinnerungen nähren sich magisch aus den Dingen, mit denen sie verbunden sind.
So haben Dinge und Erinnerungen eine Macht in uns.

Während ich so sitze und denke und arrangiere, beginne ich in meinen eigenen Erinnerungen zu wühlen, krame Dies und Das hervor. Dinge die mit meiner Vergangenheit verbunden sind, nachdem ich das Elternhaus verliess. Dinge von denen kaum jemand weiss und die vielleicht nie jemand erfahren wird.

So fällt mir eine alte Zeitung in die Hände, eine „Frankfurter Rundschau“ aus 2008.
Nie habe ich jemandem erzählt, dass ich dort einen Artikel veröffentlichte. Einen Artikel, der nicht treffender die Verhältnisse in ebendiesem Elternhaus beschreiben könnte, einige Jahre, bevor ich von dort fort ging 
… vor über 40 Jahren:


Samstag 5. April 2008


Revolution

Ich erinnere mich an Samstagabende, im weissen Dralonhemd, frisch gebadet, mit meinen Eltern vor dem Fernseher. Es lief die Tagesschau mit Bildern, die uns bis heute überliefert sind - schwarzweiss, unscharf, hektisch -, junge Menschen in Parkas mit langen Haaren, mit ausladenden Bewegungen, mit mir - ich war 1968 zehn Jahre alt - unverständlichen Stellungnahmen, gespickt mit den typischen Allgemeinplätzen der damaligen Zeit.

1968

So natürlich, wie die Welt schwarzweiss daher kam, so natürlich erschienen mir die Bilder - natürlich und fremd zugleich - wie auch die verächtlichen Kommentare meines Vaters und die der interviewten Passanten und Politiker.


Was mir tief in Erinnerung blieb, ist diese Verachtung - fast schon Hass - auf die Studenten, die Veränderungsversuche and er Gesellschaft, die meine Elterngeneration „mit eigenen Händen aus dem Nichts aufgebaut hatte“.

Ich war zehn und vielleicht unpolitisch, aber ich war nicht blind und nicht taub. Mein Herz gehörte den schwarzweissen Revoluzzern, das war ausgemachte Sache für mich. Auch ich wollte Veränderung, meine Revolution kam genauso unausweichlich wie die der „Schwarzweissen“.

Sie kündigte sich mit Pickeln und langen Kommunikationspausen im Wechsel  mit Gebrüll zwischen meinen Eltern und mir an. Ich glaubte den gleichen Hass, die gleiche Verachtung meiner Eltern gegen mich zu spüren, die ich ihn gegen die Studenten wahrgenommen hatte; sogar die Sprüche meiner Eltern waren ähnlich wie die, während die Tagesschau lief.

Drei Jahre später wurde ich Redakteur der Schulzeitung „Kläranlage“. 
Wir waren links, kommunistisch, belächelt, ernsthaft, aufgebracht, gewissenhaft und schön rot in unseren grünen Parkas. 
Wie die schwarzweissen Revoluzzer.




Luzern, Montag 10. April 2017

Dienstag, 4. April 2017

Philosophizing

















Das Reisen ist ein Konglomerat aus Weltfindung und Selbstfindung.
Traveling is a conglomerate of world-finding and self-finding.





Luzern, Dienstag, 4. April 2017