Donnerstag, 31. August 2017

Processing

Gedanken die mir kamen während ich 15 Min. auf den Elektriker wartete.

Die Lichtschalter-Steckdosenkombination in meiner Küche ist kaputt. 
Ich hab das Ding mal auseinandergebaut und grad noch rechtzeitig dran gedacht die Sicherung raus zu drehen.

So stehe ich also vor diesem Kabelgewirr und einem Häufchen rausgerieseltem Mörtel und mit einer zersplitterten SchalterAbdeckung in der Hand da und denke dran, was die 220 Volt wohl mit mir gemacht hätten, wenn die Sicherung drin geblieben wäre, zumal ich beim Aufschrauben lässig am Heizkörper lehnte.

Vielleicht hätte es alle Erinnerungen, alle Ideen …. ja sogar mein Ich oben in meinem Kopf gelöscht … so wie die Dateien auf einem Computer …

... kein Zugriff … piep … plöpp … Stecker raus … WLAN deaktiviert …

"Besser ich rufe mal den Elektriker an!" 
sagt mein, mehr durch Zufall, funktionstüchtig gebliebener Verstand.
Der ... also der Elektriker ... sagt mir zu, in einer Viertelstunde da zu sein … 

... es wird eine halbe Stunde draus …



Draussen regnet`s ...
… ich sitze in meinem Liegestuhl im Trocknen, 
schaue in den wolkenverhangenen Himmel und ...



… denke ...



… Demenz ist das was uns im Alter droht.
Das sich selber verlassen.
Solange ich noch kann, mache ich mir also Gedanken !1

Wenn ich Ferien habe, dann ist die erste Woche immer furchtbar.
Ich hänge zw. Loslassen und Getrieben sein.
Die Struktur der Arbeit fehlt mir.
Ein Tag ist wie der Andere.
Statt die Gedanken nach vorne zu richten erlebe ich, wie ich Erinnerungen hervorkrame
wie ich hin und her grüble.

Was mir fast immer hilft ist eine Wanderung.
Ich bewege mich, die Bewegung ist automatisiert aber … im Hier und im Jetzt.
Ich muss mich orientieren, ich muss vorausschauen, ich muss meine Kraft einteilen.
Wandern erfordert Struktur.

Um das geht es in dieser verfluchten ersten Woche, eine eigene Struktur zu schaffen.
Einen Tagesablauf, Zeiten zum Abhängen und Zeiten zum Aufgleisen und Zeiten zum Aufbrechen als Trittsteine in einem ansonsten schnell beliebigen Gefüge zu finden.

Ich erinnere mich, wie ich in Australien losraste und fuhr und fuhr und fuhr … von Sydney nach Perth in 5 1/2 Tagen … das sind immerhin gut 4000 Km … also etwa 700Km pro Tag ohne Pause.
„Gut!!“ ich fahre gern lange Strecken, aber DAS … ??!

Später, viel später, kam dann die Struktur zu mir, ich nahm mir etwas vor, machte Pausen, mietete mich an schönen Orten gleich für ein paar Tage ein, schlief mir die Fahrerei aus den Knochen hing in Bars rum oder am Strand. 
Meine Rettung ist immer wieder das Schreiben, es ist wie ein Job für mich, ich tue es auch oft dann noch, wenn ich den ganzen Tag gefahren bin und todmüde … es ist mir eine Pflicht, vor mir selber, es ist mein strukturierendes, reflektierendes Element.

Was aber … um zum Thema zurück zu kommen, ist wenn diese Strukturen nicht mehr vorhanden sind? Wenn wir ein Leben lang fremdbestimmt waren, von den Eltern, vom Ehepartner (vielleicht) und von den repressiven Strukturen der Arbeitswelt. Wenn wir nie gelernt haben, diese Strukturen selber zu gestalten, wenn sie nicht selbst herstellbar sind, wenn tatsächlich ein Tag wie der Andere ist und bleibt. Wenn nichts und niemand mich mehr fordert, keine Trittsteine mehr vorgegeben sind, keiner mehr was von mir will? Wenn ich der einzig fixe Punkt in meinem Leben bin?
Ja, und wenn ich mich dann vielleicht auch selber nicht mehr brauche in all diesem Nutzlosgewordensein?!

„Einsamkeit“ höre ich den Stressforscher im TV sagen „ist der grösste Stress für Menschen!“
„Strukturlosigkeit“ denke ich „vermutlich auch.“

Vielleicht … 
... und ist dies meine 
-zugegeben skurrile wie furchterregende- Idee ...
… vielleicht schaltet der Mensch dann sich selber ab.
Das Hirn wird dement, der Körper krebszerfressen?

Ich tue vermutlich all denen grosses Unrecht mit dieser Idee, die mitten aus einem erfüllten Leben heraus davon betroffen sind. So hoffe ich so sehr, ich habe Unrecht!
Keinesfalls jedoch hält mich das davon ab, den Gedanken zu Ende zu spinnen …

Bei all diesen Zivilisationskrankheiten und alle der vermeintlichen Freiheit frage ich mich, wo bleibt die animalische Lebenslust, das Orgastische (ich rede mal nicht von Sex … aber … meinetwegen auch der!), die tiefe Verzweiflung über ein Unglück, sowohl als auch das Glück des Aufgehens in Strukturen, die die meinen sind … so etwas wie ein würdiger Ausklang und nicht der hohle Klang des Nichts.



Die Indianer … 2
… so hörte ich, liessen dann die Alten zurück … wenn sie ihnen zur Last wurden.

Herzlos finden wir das und egoistisch, unmenschlich und verachtungswürdig!
"Ja … westlich-christlicher Schwachsinn!" sage ich dazu.

Ich wünsche mir natürlich auch, bis ins hohe Alter gebraucht zu werden … vor allem von mir selber, eine Aufgabe zu finden und ein paar Freunde zu haben und vielleicht eine Geliebte … oder zur Not einen Hund.
… und dann … wenn das Ende kommt und mich selbst der Hund nicht mehr brauchen kann, dann sollte ich zurückbleiben.  

Ich allein … und ich möchte klaren Gedankens gehen dürfen!
Wohin? ... dorthin wo es kein "Ich" mehr gibt ... 


... da kommt mir plötzlich die Frage:
Wenn` s also das "Ich" irgendwann sowieso nicht mehr gibt ...

Es klingelt, der Elektriker ist da.
Ein durch und durch strukturierter Mann.
"Guten Tag! ... wo ist denn hier der Sicherungskasten?"


... das ist die richtige Frage!




1    "heut mach ich mir kein Abendbrot, heut mach ich mir Gedanken" ... Wolfgang Neuss

2   .... ich weiss, dass ist entsetzlich verallgemeinernd 
… aber ich kann`s nicht besser differenzieren

Luzern, 31. August 2017

Donnerstag, 24. August 2017

Noising



… wie gesagt, mein Doc findet ich sei zu fett.
So, hat er mir das natürlich nicht gesagt, sondern, eigentlich hab ich es gelesen, als er mal aus dem Sprechzimmer ging und ich auf den Monitor linste.
„ ... zu guter Ernährungszustand ... “ stand da!

… ooaach … ich sags ja „fett!“

Also, das ist jetzt schon über ein Jahr her, daher: mein Schock darüber, das meine Selbstwahrnehmung und die Fremdwahrnehmung so kongruent sind, hat sich gelegt.

Der Doc versuchte mir damals schonend beizubringen, dass ich nu diese und jene Medikamente schlucken müsse „ … und mehr bewegen wäre gut!“ fügte er hinzu „… was ich denn von Wassergymnastik hielte“
Schock N°2 … 
Ich sehe mich mit ein paar sabbernden Tattergreisen und übergewichtigen alten Damen in knallbunten Einteilern im Hallenbad im Nichtschwimmerbereich zu Volksmusik die Arme vorsichtig über dem Kopf schwingen. Während am Beckenrand eine Domina im schwarzen Lackbikini harsche Befehle brüllt und dabei unheilvoll ein nasses Badehandtuch schwingt.

Noch ganz in dies Schreckensszenario versunken hörte ich mich schüchtern fragen: „Geht laufen auch?“ 
„…ne, klar … geht auch! … und die Ernährung … Sie müssen die Ernährung umstellen“


Der kluge Sozialpädagoge sah sich natürlich genötigt eine Interventionsplanung aufzugleisen:

  1. Weniger Kohlehydrate (Was sind Kohlehydrate, zur Hölle?)
  2. Keine Fertiggerichte mehr (seufzt)
  3. 4x/Woche Laufen (klammert sich an sein Sofa)
  4. Rotwein statt Bier (heult los)

Noch mit geröteten Augen kramte ich also meinen Ordner „Ernährungslehre“ hervor, machte mich im Internet noch ein wenig schlauer und traf eine Entscheidung.

Paleo-Ernährung schien das Mittel der Wahl.
Essen wie die Neandertaler!

„Aber bist doch kein Neandertaler“ reklamiert eine entfernte Bekannte.
„ Na … jaaa … manchmal schon … „ resoniert sie sich selber abschliessend.

Szenenwechsel
Australien … irgendwo in New South Wales!
Nur wenn man seine Nase in was reinsteckt, nimmt man den leicht grasigen Geruch des Orginären wahr.
So erfahre ich, dass Kängurus von Kuhmilch blind werden.

Es gab keine Zucker während unserer Menschwerdung … 
… ebensowenig wie es Kühe gab, in Australien.

Szenenwechsel
Eine Tankstelle irgendwo in Deutschland.
E10 bleibt im unterirdischen Tank … es könnte ja dem Motor schaden, dafür ist er nicht gemacht.
An der Kasse zahle ich für ein Snickers, eine Cola und 45 l Super 95 Oktan.

… der kluge Leser ahnt auf was ich hinaus will ?!

Noising heisst soviel wie „laut werden“ „Lärm machen“ "Krach" aber -im übertragenden Sinn- auch „Ärger machen“

Versuch mal jemandem zu sagen, dass er zuckerabhängig ist …
… dann weisst Du was „Noising“ meint.

Szenenwechsel
… jemand erzählt mir … ich hab vergessen wer … aber es war jemand, das erinnere ich noch, den ich für intelligent und umsichtig halte, er habe gelesen, die Flüchtlinge 
(allein schon diese Zusammenfassung macht mich schaudern!) 
… also die Flüchtlinge 
(Schaudern die 2.) … würden Krankheiten einschleppen.

In meiner Erinnerung taucht, während er erzählt, das Bild vom Monitor meines Laptops auf.
Ich hatte Flight24 Link aufgemacht … ein Himmel voller Flugzeuge … die Welt ist unterwegs … alle Nationen fliegen von Pontius nach Pilatus in jedem Flieger alle Sorten Menschen bunt gemischt … 
40 Millionen Flüge in 2016 Link das sind mehr als 100.000 pro Tag …

100.000 Flüge/ Tag x (+/-) 200 Sitzplätze = (+/-) 20.000.000 Fluggäste von Hinz nach Kunz von Abu Dhabi nach Hongkong … von New York nach Hintertupflingen (dies … nur per 3xUmsteigen im Bus erreichbar … aber das ist eine andere Geschichte)

Nochmals: 20Mio Menschen jeden Tag !!

Aber: " ... die Flüchtlinge schleppen Krankheiten ein." !??
Welcher ScheissNazi hat sich, unter einem wissenschaftlichen Deckmäntelchen, diese Wichse ausgedacht?

Szenenwechsel
Hawaii ...🌴
... wenn ich erzähle, dass ich in Honolulu war, dann bekommen fast alle Leute glänzende Augen, ich sehe wie ihre Gedanken in die Ferne ziehen und ihre Hirne Bilder von sich im warmen Seewind wiegenden Palmen und weissen Stränden produzieren, wie sie an Mai Tai und Hula denken.
Mir macht es natürlich Spass, gleich anschliessend zu erklären, dass Honolulu eine ganz normal furchtbare Grossstadt ist, mit stinkendem Verkehr und tausenden herumirrender Touristen und die Strände total überlaufen sind, dass die Restaurants ein RiesenNepp sind und die Hotels dreist überteuert ...
... last not least, die gesamte Inselgruppe den Bewohnern weggenommen wurde, (geklaut, gestohlen, annektiert, enteignet ... ) und ihre heiligen Stätten mit Golfplätzen überbaut werden ... ja, heute noch ...
... das ist übrigens kein Spass, sondern die Wahrheit!

Szenenwechsel
Die Bügermeisterin von Calais.
Eine auf den ersten Blick sympatischen Frau, in ebenfalls etwas zu gutem Ernährungszustand in der Mitte der Dreissiger … unterbindet es, dass Menschen, die nicht Franzosen sind, die gern zu ihren Familien nach England möchten, in Frankreich duschen dürfen, sich Essen beschaffen, oder etwas zu trinken … geschweige denn, dass ihnen so etwas wie Menschlichkeit gegeben wird von Franzosen, die dies nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können.
Sie lässt sie von ihren Schergen ... also der regulären Gendarmerie!! ... aus den Duschen heraus oder beim Essen festnehmen ... 
Mitten in diesem Europa … HEUTE!

Was ich versuche zu sagen:

Wir in dieser ...

  1. überinformierten
  2. vollgefressenen 
  3. überzuckerten
  4. superdemokratischen 
  5. selbstgefälligen
  6. freiheitischen *1 
  7. Geiz is geil orientierten
  8. mit Nichtigkeiten emotional in Empörung gehaltenen
  9. allround GlückssucheGesellschaft …

… liegen, mit unsere Wahrnehmung, 
sowohl über uns selber, 
als auch über den Rest der Welt, 
so richtig schön saftig neben der Realität.


Ich steck grad meine Nase in was rein ...
... und ich bin nicht amüsiert!

*1 
... gemeint ist hier die steigende Tendenz, die Freiheit des Einzelnen
ohne jede Relation zum Gemeinschaftlichen auszuleben ...
z.B. mit röhrendem Auspuff durch Wohngebiete fahren ...
Auspuffanlagen extra dafür herstellen ...
Plutokratien in West und Ost ...
die Ausbreitung prekärer, zeitbegrenzter Anstellungsverhältnisse ...
chronische Unterbezahlung der arbeitenden Menschen ...
Alles erlaubt oder doch mindestens durchsetzbar ...
HIER und HEUTE





Luzern/Ravensburg 24. August 2017