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Samstag, 17. Juni 2017

Jumping

R.T. MacCall
Neil Armstrong 

ist 1969 zum Mond geflogen.
dort aus seinem Raumschiff ausgestiegen, hat umhergeschaut, ein paar Steine gesammelt und sich dann auf den Rückweg gemacht. 

Ich war damals 11 Jahre alt, mit meinen Eltern in Tirol in den Ferien und sah ihm dabei zu. 

Damals wurde mir klar, dass da oben keinen Gott gibt, keine Engel, keine himmlischen Heerscharen. 

In jenen Tagen lag ich auf einer Wiese, schaute in diesen Himmel und begann zu vermuten, dass es, dann wohl auch keinen Jesus gäbe, der neben dem Thron seines Vaters auf einem etwas kleineren Stühlchen hockte und es dann wohl auch keine Hölle gäbe in die ich fürchteten müsste hinab zu fahren.



Ich begann zu verstehen, dass ein grosser Teil der erwachsen Menschen entweder log oder einfach furchtbar blöd war.

Tatsächlich ist es so, dass ich in den letzten sechs Jahrzehnten viele kluge und noch mehr dumme Menschen kennen gelernt habe. Aber so klug sie auch sein mögen (auf die Dummen komme ich noch zu sprechen) beinahe jeder von ihnen war doch mindestens in einem Winkel seines Seins durchgeknallt. 

Der Eine jagt dem Geld nach, in der irren Annahme, dass eine Villa mit grossen Fenstern hoch oben über einem See ihn glücklich machen würde. 

Der Andere jagte den Weibern nach, weil er ganz sicher ist, irgendwann die Richtige zu finden oder dass doch zumindest ein guter Bums dabei rausschaut. 

Der Dritte betet um sein Seelenheil was das Zeug hält, in dem eifrigen Glauben, nach dem Tode in den Himmel zu kommen, obwohl er doch auch von Neil Armstrongs erhellender Reise gehört haben musste. 

Dann gibt es noch Jene, die Sport treiben, denn sie wollen nicht in den Himmel, nein, sie wollen nicht mal sterben und ackern sich ab, um den Tag des Todes so lange als möglich fern zu halten.


Einzelfälle? 
Nö … na ja, vielleicht.

Richtig ist, die meisten arbeiteten sich langsam und unglücklich auf die Rente zu, fristen ein eher trostloses  Dasein zwischen den tapezierten Wänden ihrer Wohnung oder denen des mühsam zusammengesparten Häuschens, mit einer moderat geliebten Partnerin und viel Fernsehen und genügend Alkohol. 
Ein paar Jahre bis zur Pensionierung, dann kommt die grosse Freiheit oder viel zu früh das letzte Stündlein. Aus die Maus, vorbei der Brei. 

Grosses Geheule, geflehe zum Himmel um bloss nicht so bald dort hin zu kommen … ... aber, das hatten wir ja bereits geklärt!!

… Chemotherapie, Siechtum, Bedauern, Erkenntnisse über das Leben in letzter Minute:
 „Wofür das Alles? … die viele Arbeit, der unerfüllte Sex im Ehebett … das bisschen Leben dazwischen, zwei Wochen Teutoburger Wald pro Jahr … oder später dann Madeira … dort waren die Menschen so entspannt.“ 
Punkt.

Wo wir nun grad beim Thema „Tod“ waren, fand ich dazu bei Twitter Folgendes:
"Wenn jemand stirbt, dann ist das für ihn nicht schlimm, 
denn er ist ja tot.
Schlimm ist es nur für die Anderen, 
seine Familie und seine Freunde.
Wenn jemand dumm ist, dann ist das im Prinzip genau so."
Das mag man nun für etwas sehr überheblich halten, denn es  gibt ja mehre Sorten von Dummen und manche von ihnen wissen ja vielleicht -wie ich!- dass sie dumm sind und leiden darunter.

Brigittchen zum Beispiel, war, was die Kraft bei der Vernetzung ihrer Gedanken betraf, etwas kapriziös. 
Sie hüpfte von schlichten Eingebungen zur nächstgelegenen Vermutung und balancierte dann über ein schmales Brett zu zusammenhangslosen Konsequenzen … was ja O.K. ist, hätte sie nicht dem Drang nachgegeben, dies fast unausgesetzt ihrer Umgebung kommunizieren müssen.

Aber, sie schaffte es mit Saufen aufzuhören, sie schaffte die Ausbildung zu Frisöse und verdiente genug Geld um ein recht sorgenfreies Leben zu führen. 
Vom ersten Gehalt lud sie mich festlich zum Essen ein und ihr unglaublich schöner Mund lächelte den ganzen Abend glücklich darüber, dass sie mir ein andere Freude machen konnte als jene die sie mir beim Sex machte. 

Und, das darf nicht unerwähnt bleiben, sie konnte trösten wie kein anderer Mensch, den ich je kannte. Wenn es mir schlecht ging und das war in jenen Tagen öfter der Fall, hielt sie mich in den Armen und fand immer die richtigen Worte. 
Sie machte sich nie vor, sie sei klug, sie nahm sich selber wie sie war. Ich vermute, ihre Kraft kam viel von genau dort.
Sie machte sich nicht viele Gedanken, meine ich, sie liebte einfach und von Herzen und genau von dort kamen diese Worte. Sie war dumm genug, mich so  sehr lieben zu können. 
Das ist einer meiner Gedanken über dumme Menschen, den ich jedoch eher zur ehrlichen Ehre Brigittchens hier aufgeschrieben habe. 
Ich war übrigens dumm genug sie zu verlassen.

Was, fragt sich der inzwischen moderat entrüstete Leser, will er uns nun damit erzählen?
Dass es Dumme gibt und Lügner?
Das wussten wir schon!

Nö! das ist es nicht.
Es ist schlicht die erschreckende Tatsache, wie flächendeckend das Phänomen ist, wie sehr alle in ihrer Hypnose gefangen sind.

Mir wird diese Menschheit jeden Tag ein wenig fremder ... 
... täglich dem "Eigentlichen" des Seins gegenüber stehend, verliere ich wohl irgendwie die Dimension des Mitmachen Wollens in diesem grossen Kinder-Kaufmannsladen.

Ich kanns nicht mehr nachvollziehen ...
... aber vielleicht ... 
... bin ich auch einfach zu dumm dazu!

Zu den richtig Dummen komme ich dann  ein andermal ... derzeitige Arbeitstitel:

Neulich in der Migros und die Angst über Ostern zu verhungern
oder
Warum Erdogan und Trump keine guten Opas sein können.


Luzern, Samstag, 17. Juni 2017

Donnerstag, 15. Juni 2017

Doging

Ich finde ja, Kinder sollten mit Hunden zusammen aufwachsen.

Gut … na ja … ich finde auch Kinder sollten nicht in Hochhäusern aufwachsen, sondern irgendwo im Wald oder der Steppe oder den Bergen oder am Wasser … egal wo … Hauptsache nicht in Betonkästen.




Was ich eigentlich hier erzählen wollte ist, dass ich mir als Kind von unserem Hund (so einer wie oben im Bild) `ne Menge nützliches Zeug abgeguckt hab.
Noch heute neige ich dazu, wenn mich irgendwas langweilt, den Blick abzuwenden und schaue dann, wenn immer möglich, nach draussen … jedes Blatt, dass sich im Wind bewegt ist spannender als so einige selbstverliebte, inkompetente Zeitgenossen.

Wenn ich was rieche, dann schnüffle ich regelrecht, ziehe die Luft ruckweise ein, blase sie heftig wieder aus und und drehe den Kopf  in alle Richtungen, bis ich weiss was es ist.

Oder … ich leg mich einfach irgendwo hin, und schlafe. 
Nebenbei bemerkt … ich schlafe nie so tief und entspannt wie neben einem Hund.
Die wissen wie man schläft … da kann ihnen niemand was vormachen.

Was das Essen betrifft, hab ich auch die hündischen Gewohnheiten übernommen … wenn was da ist, dann esse ich es, wenn nix da ist, dann esse ich halt nicht.
Das Problem ist, dass ich den Kühlschrank aufmachen kann, eine Fähigkeit, um die mich jeder Hund beneidet. 
Es kann ihnen also nicht passieren, dass sie … und JA!! … wie mir manchmal … den Kühlschrank leerfressen.

Natürlich, wenn man sich wie`n Hund benimmt, wird man schnell mal auch wie einer behandelt. 
Zum Glück bin ich jedoch bissig genug mich zu wehren.
Eine ehemalige Freundin hat sich immer aufgeregt, wenn ich den Hunden "Hallo" sagte und nicht den Herrchen und Frauchen ...

... ach ... egal!
… ich schweife ab … 
... in dieser Geschichte gehts um was ganz Anderes:

Es war heute so etwa 04:00h am Morgen, als mir die Sicherung rausgeflogen … also … ich meine die draussen im Treppenhaus im Sicherungskasten, vor dem meine Nachbarn ganz geschickt ihren Schuhschrank aufgebaut haben (*knurrt*)

Es ist Feiertag und alle ausser mir schliefen noch. So stand ich eine Weile in Unterwäsche in meiner halb geöffneten Etagentüre , kratzte mich am Kopf und versuchte zu entscheiden, ob ich mal mit Schuhschrankrücken anfange.
Da meine Nachbarnsfrau aber zu hysterischen Schreiereien neigt und ich das um die Zeit noch nicht vertrage, klappte ich die Türe wieder zu und die Sicherung blieb ungewechselt.

Den Kafi hatte ich zum Glück schon fertig, als der Strom wegging. (*wedel*)
So trollte ich mich mit meiner Tasse vor den Computer und wollte ein wenig surfen und Mails lesen und so … … 
… DICKES FETTES HÜHNERKACKA … 
nix war damit … 
der Router war, na klar!!  … 
auch ohne Strom!

Ich war abgeschnitten vom Internet, kein Fernseher, kein Radio, kein Telefon …
Herr Trump, Theresa May und das brennende Hochhaus in London waren plötzlich sehr weit weg.
Etwas umfing mich wie eine warme, schützende Hülle … etwas Liebevolles, Erholsames, Gnädiges … 

Draussen zeigte das allererste Tageslicht ganz schwach die Silhouette der Berge.
Es war still … ein paar Vögel quatschten miteinander im Baum hinterm Haus über Dies und Das.
So weit ich das verstand, gings um irgendwelche aerodynamische Details … 

Weit weg dröhnte der Motor eines Mofas … so schwach, dass die Vögel es übertönten, ich war also doch nicht der einzige Mensch an diesem frühen Morgen.

Ich setzte mich in den Liegestuhl vor der Balkontüre.
War gefesselt vom aufsteigenden Tag 
… alles life und in Echtzeit …

Ich kuschelte mich in das wohlige Nichtwissen, das Losgelöste vom Treiben der Welt jenseits vom Baum unten im Garten, es duftete nach Erde …

... nach einer Weile war mein rechter Arm irgendwie im Liegestuhlgestell eingekeilt. Er war, genau wie ich, eingeschlafen. Also zog ich ihn träge an mich, legte ihn mir auf die Brust, merkte dabei, dass ich auf mein T-Shirt gesabbert hatte und dachte an unseren Hund.

Jetzt wirds aber Zeit den Schuhschrank zu schieben und die Sicherung zu wechseln.
Zeit auch für mein Fresserchen und ich sollte mal Gassi gehen.



„Wuff … „



P.S. Mein chinesisches Sternzeichen ist ...?
Wer`s rauskriegt, der bekommt wahlweise `ne Dose Bier oder `ne Dose ...
... und Klugscheisser kriegen gar nix!






Luzern, Donnerstag, 15. Juni

Samstag, 3. Juni 2017

Amazing

Warum ich reise und was ich suche … da draussen allein und dann noch grad in der Wüste, da is doch nix!

Dust Devil in der Wüste von Nevada
Eigentlich hat alles vor 35 Jahren auf einer Sanddüne, auf einer Insel in der Nordsee begonnen.

Ich hatte gekifft und gesoffen und war offenbar einfach losgelaufen. Irgendwo legte ich mich hin oder fiel um.
Das Glück war auf meiner Seite, denn es war Sommer und ich schlief wohlbehütet und erwachte tief in der Nacht.
Auf dem Rücken liegend schaute ich in den Sternenhimmel und war überwältigt, die Tränen kamen mir ich heulte vor Ergriffen sein.
Mit meinem vergifteten Hirn konnte ich nicht mehr so recht das Oben und Unten unterscheiden und in einer unvermittelten Täuschung, schien mir, als sei der Nachthimmel unten und ich würde jetzt in diese schwarze Unendlichkeit hinabstürzen. Ich schrie vor Angst und Schrecken, suchte mit den Händen nach einem Halt, 

fand nur ein Büschel Strandhafer, den ich in meiner Panik ausrisse. Der Sand streute über mein Gesicht, 
in meine Nase und Mund und Augen. 
Das brachte mich im allerwahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Erde.

Von dieser Nacht an war ich lieber Draussen als Drinnen. Ich wollte wandern um die Einsamkeit zu suchen, die Ruhe, den Himmel, die Sonne, den Mond und … natürlich … die Sterne.

Von der Natur lernen“ da ist so ein dämlicher Ausdruck, der in mir lange Jahre bestenfalls Verachtung erzeugte. Denn ich wehrte mich gegen das Glück draussen zu sein, verbrachte meine Zeit lieber mit Frauen, Fressen, Fernsehen und Arbeit und Nichtstun.

Das änderte sich vor ein paar Jahren, an einem der letzten heissen Tage eines frühen Herbstes. Ich machte mich auf, zu einer Wanderung am Doubs entlang
. Mein Lunchpäckchen hatte ich daheim vergessen und so bekam ich nach ein paar Stunden Laufen Hunger und mir wurde etwas schwindlig.
Aber wie das im Herbst so ist, überall stand oder hing was zum Essen an den Bäumen und Büschen. Besonders die prallen, schwarzen Brombeeren gefielen mir. Mit ein paar Kratzern an den Fingern und einer Handvoll Beeren bin ich zum Wasser, hab sie gewaschen und gegessen. Nach nur ein paar Minuten war all der Schwindel weg und die Müdigkeit und der Hunger sowieso.
Niemand war zu sehen, der Doubs wirkte verführerisch und erfrischend. Ich zog mir die Kleider aus und liess mich in den Fluss gleiten. Es war so herrlich kühl und duftete nach Wasser. Ich tauchte unter, genoss die paar Sekunden die Unterwassergeräusche, die sich wie schwere Würfel auf einer mit Filz bezogenen Steinplatte anhörten. Tauche wieder auf und sah, dass ich abgetrieben war.
Gegen die Strömung schwimmen ging nicht so recht, kostete enorme Kraft. Also klettere ich zwischen ein paar Büschen an Land und ging nackt zu meinen Kleidern zurück.

Lange lag ich im Gras am Ufer, hörte dem Fluss zu. Ich dachte Nichts, ich wollte Nichts.
… ein paar Augenblicke in einer Ewigkeit verbunden mit der Realität jenseits von Geld und Stress und anderen repressiven Strukturen.


In diesen Momenten wusste ich, dass ich reisen wollte.

Ein anderes Mal, dass ich so aufging in Etwas war irgendwo in der Wüste von Nevada.
Auf einer dieser langen, graden Strassen, die sich am Horizont verlieren. Links tanzten zwei Dust Devils miteinander und vor mir lag ein dunkeles Gebirge, zur anderen Seite erstreckte sich so weit ich schauen konnte die Wüste und über mir der endlose Himmel.

Ich stieg aus dem Auto, setzte mich in seinen Schatten in den Sand und lauschte. 

Keine Zivilisationsgeräusche, nur der Wind, die Hitze und die Kargheit und Einsamkeit. So muss sich wohl ein Gläubiger in einer Kirche, Moschee oder Synagoge fühlen. 
Ich war so andächtig, dass ich erst ganz still wurde, fast den Atem anhielt. Dann musste ich plötzlich laut lachen ob des geschäftigen Treibens der Menschlein ... dann liefen mir ... mal wieder ... die Tränen.
Sie kamen mir alle vor wie Kinder, die einen von diesen SpielzeugLäden zu Weihnachten bekommen haben und sich nun gegenseitig mit ernsten Gesichtern irgendwelche Dinge verkaufen.

Das Reisen verändert meine Wahrnehmung der Welt ...
Das ist wohl was ich suche ...
... letztlich wohl mich selber ... nehme ich an.



Luzern, 3. Juni 2017

Montag, 10. April 2017

CLEARING UP


1965


Wir lösen zur Zeit unser Elternhaus auf.

In mein Leben fliesst eine bittersüsse Note und das Strandgut von über 100 Jahren Familiengeschichte, das beim Räumen der Schränke aufgedeckt wird.

Ramsch und Relikte, Rettenswertes und Redundantes wie aus einem Füllhorn überschwemmen mich. Von der Schuldverschreibung meines Grossvaters, den ich nie kannte, bis zum xt-gleichen Foto von irgendwelchen Kegeltouren meines Vaters aus den 70ern.

Entscheidungen müssen getroffen werden, was von alle dem Gesammelten, Vergammelten und ehemals für Wert befundenen nun behalten wird, was Teil der Geschichte bleibt und was davon auf die Müllkippe oder in den Reisswolf gehört.



Das Elternhaus werde ich nicht wieder sehen, denke ich.
Trinke noch ein Bier auf dem Friedhof, am Grab des Vaters, kippe die Hälfte auf die Erde über der Urne. 
Prost, alter Mann, das ist wohl unser letztes gemeinsames Bier“.

Obwohl ich vor über 40 Jahren fort ging von dort, fällt mir der endgültige Abschied überraschend schwer.
Ein paar Photos nehme ich mit, die meine Mutter nicht möchte, rette ein paar Bücher vor dem Container, eine alte kaputte Kamera, an die ich mich aus Kindertagen erinnere, eine Laubsägearbeit meines Vaters.

Fahre nach drei Tagen mit etwas aufgeschürfter Seele wieder heim und arrangiere das Mitgenommene in meiner eigenen Wohnung, die dereinst ebenso geräumt werden wird, wie das Elternhaus.

Die Dinge werden magisch durch die Erinnerungen, mit denen sie verbunden sind. 
Die Erinnerungen nähren sich magisch aus den Dingen, mit denen sie verbunden sind.
So haben Dinge und Erinnerungen eine Macht in uns.

Während ich so sitze und denke und arrangiere, beginne ich in meinen eigenen Erinnerungen zu wühlen, krame Dies und Das hervor. Dinge die mit meiner Vergangenheit verbunden sind, nachdem ich das Elternhaus verliess. Dinge von denen kaum jemand weiss und die vielleicht nie jemand erfahren wird.

So fällt mir eine alte Zeitung in die Hände, eine „Frankfurter Rundschau“ aus 2008.
Nie habe ich jemandem erzählt, dass ich dort einen Artikel veröffentlichte. Einen Artikel, der nicht treffender die Verhältnisse in ebendiesem Elternhaus beschreiben könnte, einige Jahre, bevor ich von dort fort ging 
… vor über 40 Jahren:


Samstag 5. April 2008


Revolution

Ich erinnere mich an Samstagabende, im weissen Dralonhemd, frisch gebadet, mit meinen Eltern vor dem Fernseher. Es lief die Tagesschau mit Bildern, die uns bis heute überliefert sind - schwarzweiss, unscharf, hektisch -, junge Menschen in Parkas mit langen Haaren, mit ausladenden Bewegungen, mit mir - ich war 1968 zehn Jahre alt - unverständlichen Stellungnahmen, gespickt mit den typischen Allgemeinplätzen der damaligen Zeit.

1968

So natürlich, wie die Welt schwarzweiss daher kam, so natürlich erschienen mir die Bilder - natürlich und fremd zugleich - wie auch die verächtlichen Kommentare meines Vaters und die der interviewten Passanten und Politiker.


Was mir tief in Erinnerung blieb, ist diese Verachtung - fast schon Hass - auf die Studenten, die Veränderungsversuche and er Gesellschaft, die meine Elterngeneration „mit eigenen Händen aus dem Nichts aufgebaut hatte“.

Ich war zehn und vielleicht unpolitisch, aber ich war nicht blind und nicht taub. Mein Herz gehörte den schwarzweissen Revoluzzern, das war ausgemachte Sache für mich. Auch ich wollte Veränderung, meine Revolution kam genauso unausweichlich wie die der „Schwarzweissen“.

Sie kündigte sich mit Pickeln und langen Kommunikationspausen im Wechsel  mit Gebrüll zwischen meinen Eltern und mir an. Ich glaubte den gleichen Hass, die gleiche Verachtung meiner Eltern gegen mich zu spüren, die ich ihn gegen die Studenten wahrgenommen hatte; sogar die Sprüche meiner Eltern waren ähnlich wie die, während die Tagesschau lief.

Drei Jahre später wurde ich Redakteur der Schulzeitung „Kläranlage“. 
Wir waren links, kommunistisch, belächelt, ernsthaft, aufgebracht, gewissenhaft und schön rot in unseren grünen Parkas. 
Wie die schwarzweissen Revoluzzer.




Luzern, Montag 10. April 2017