Mittwoch, 18. Juli 2018

Praying

Heute bin ich dann nochmals nach Wailua gefahren, an der Mündung des Flusses unter der Brücke hindurch an den wunderbaren wilden Strand gegangen.







Dann bin ich hoch gefahren, Richtung Wasserfall, der mir gefiel, weil hier alles unorganisiert ist, weil sich niemand an die Vorschriften hält und weil die Touristen hier etwas schräger drauf sind als anderswo.
Auf dem Weg dort hin, kam ich an dem Friedhof vorbei, der mir schon beim ersten Besuch auffiel.
Ich fuhr auf den Parkplatz, stellte den Wagen ab und setzte mich auf eine Bank zwischen den Gräbern, zu Füssen der grossen weissen Jesusfigur aus Marmor.

Der Bildhauer wollte wohl, dass Jesus die Arme gen Himmel streckt um den Segen seines Vaters für die Verstorbenen zu erbitten.
Allerdings hat sich der Künstler ein wenig in der Gestik … sagen wir … ähm … er hat sie recht frei ausgelegt.
Ich weiss echt nich wie ich es schonender ausdrücken soll:
Jesus zuckt eindeutig leicht gleichgültig, entschuldigend mit den Schultern!

Sieht irgendwie gar nicht schlecht aus … denke ich …

Der Friedhof ist eine tropische Oase, umwuchert und abgeschirmt durch blühende Bäume in denen die Vögel singen … es ist warm und die Luft ist feucht … einer der Vögel hat einen Ruf, als sage er sehr schnell „Three has the ball“ wie ein Kommentator beim Football.
So höre ich und schliesse die Augen und lasse mich in der duftenden Brise, die vom Ocean herauf zieht … davontragen.

Plötzlich höre ich eine Stimme … nein viele Stimmen!
Gemurmel, ja auch Weinen und Schluchzen.

Ich öffne die Augen und glaub selber nicht was ich sehe:

Da steht Jesus in einem weissen Gewandt vor einer Gruppe hebt beide Arme etwas nachlässig-entschuldigend etwas  über Schulterhöhe ...



...und spricht:

„O.K. Guys … das is für Euch heut ja echt nich so gut gelaufen! 
Ich weiss nicht ob Ihr es schon wusstet, aber ihr seit … 
… ich glaub es gibt da keinen Weg das vorsichtiger zu formulieren … 
… also Leute … I`m sorry for that … aber ihr seit tot …“

Das Gemurmel und Wehklagen in der Gruppe wird lauter, eine Frau schluchzt, ruft nach ihrem Mann.

Jesus geht zu ihr, legt ihr den Arm um die Schultern und spricht weiter: 

„Kommt Leute … so schlimm is das nu auch wieder nicht … hier kann jeder noch was aus sich machen … je nach Religion … haben wir verschiedene Angebote.
O.K. … fangen wir mal an!

Haben wir Buddhisten heute?
Oh gleich 5 … prima!

Ich schlage mal vor, die Buddhisten gehen links rüber und ziehen sich jeder ne Karte am Automaten … da steht dann jeweils das Lebewesen drauf, das ihr im nächsten Leben seid … 
… hey!!… und nicht die Karten tauschen … ich sehe das!

Die Automaten für die Christen sehen da rechts am Plumeniabaum.

Die von den Buddhisten, die einen Joker haben … das is glaub ich so ein safrangelber Stern … die können nach rechts gehen, zu den Christen, die in das Ewige Leben raufgehen … das Symbol dafür ist ein silberner Stern … gleich die Treppe dort hinter dem Mangotree.

Die Christen, die einen schwarzen Punkt auf ihrer Karte haben, nehmen bitte die schwarze Treppe in der nassen, offnen Grabkammer unter der Trauerweide … da gehts nach unten … aber dafür Express … is eine von unseren neuen Turbo-Rolltreppen … haltet Euch gut fest.

Maoisten? Keine!
Trumpanhänger? … pffff !!! (wischt sich den Schweiss von der Stirn) … zum Glück heut keine … die nerven!!
Muslime? … auch keine!
Andere? … keine ?  … … ach ne! … doch da hinten … komm doch mal her!.“

Ein grosser schwerer Mann, so um die 45 kommt nach vorn zu Jesus.
Er sieht sehr hawaiianisch aus, hat auch ne Blumenkette um den Hals und ne Angelrute in der Hand.

„Hey Mann … cool haste Deine Rute mit … können wir brauchen.
Was hast Du denn für eine Religion?“

Der Mann antwortet auf Hawaiianisch, ich versteh ihn nicht.

Jesus kramt sein iPhone unter dem weissen Umhang hervor, streicht sich die langen Haare aus dem Gesicht und beginnt zu tippen …

Dabei murmelt er vor sich hin, flucht erstaunlich gut als er sich vertippt „ … ach ne nur mit einem „e“ … O.K. da is `n Artikel bei Wikipedia ?!“
… er liest kurz den Artikel, schaut den Mann an und fragt ihn wie er heisst.
„Also Claude … is das O.K. für Dich wenn wir das unter „Naturreligion“ einstufen … ich rate Dir, mach das … gibt interessante Optionen da!“

Claude willigt offenbar ein und die beiden gehen plaudernd davon.

Als ich mich umschaue ist der Friedhof leer … die Christen und Buddhisten sind wohl alle schon gegangen. Es ist ruhig und friedlich und die Sonne steht noch hoch über den Baumkronen.
Weil ich sonst eh nix zu tun hab, gehe ich Jesus und Claude nach, sehe noch grade, wie sie zwischen den Bäumen am Rand des Friedhofs eine schmalen Pfad nehmen.
Die beiden unterhalten sich angeregt … plötzlich auf English … dann sogar auf deutsch … DAS is ja schräg!

Wir gehen hinauf in die Berge und obwohl der Pfad steil ist kommt keiner 
von uns ausser Atem … so laufen wir sicher eine Stunde.

Claude hat ein wenig Angst sagt er … er sei als Christ getauft, habe aber nie daran glauben mögen und sei nun als Christ beerdigt und würde von Jesus im Himmel herumgeführt … obwohl er … also Claude … es doch immer mit der traditionellen Religion gehalten habe.
Jesus klopft ihm auf die Schulter und spricht:
„Du, Claude ehrlich … mir persönlich is das total egal an was jemand glaubt … ich habs eh nich so mit den Unterschieden bei den Religionen … nach ein paar tausend Jahren … weisst Du Claude … im Ernst … wir sind doch alle nur Menschen!

Ach übrigens ist das nicht der Himmel hier, sondern die Hölle! …
Eben … ehrlich mir is das Wurscht … Aber die von der Verwaltung haben da so ihre eigenen Ansichten … aber ich guck mal was ich für Dich tun kann.“

Er tippt eine sehr lange Nummer in sein iPhone ein, flucht leise, als er sich verwählt … wartet den Ton hab … er hat den Lautsprecher an … eine gelangweilte Frauenstimme meldet sich: „Vorzimmer Pele!“

„Hi Sheron“ spricht Jesus „Wie gehts heut … Du?! … is Deine Chefin da? … ich hab da mal ne Frage!“

Es folgt ein kurzes Wählgeräusch … dann eine Bandansage auf Hawaiianisch die offenbar mehrere Optionen zur Auswahl stellt … Jesus drückt nun laut fluchend die „3“ „diese verwixten Bandansagen!!“ … es folgt etwas, das sich nach einem kochenden Vulkan oder einer echt total stinksaueren Frau anhört. 
Jesus lacht … offenbar hat der Vulkan einen Scherz gemacht.
Ich verstehe nicht was die beiden reden … aber ich höre mehrmals den Namen „Claude“
„O.K. … O.K … O.K. … O.K … O.K. … !!! spricht Jesus ins Micro.
"Thanks Babe, bye!“

„Easy man“ wendet er sich wieder Claude zu der vor Angst zittert.
„Pele sagt, sie kennt Dich … das mit dem Christentum war ein Fehler von der Verwaltung … manchmal frag ich mich was da für Honks sitzen … aber komm  lassen wir das! …
… jedenfalls bist Du jetzt anerkannter Anhänger einer Naturreligion … das heisst, Du kannst Dir Deinen Himmel selber aussuchen … man ich habs Dir ja gesagt, Alter  … da gibts echt jede Menge interessante Angebote."

Claude scheint erleichtert … er beugt sich zu Jesus Ohr rüber, der seine langen Haare zur Seite streicht, um besser zu verstehen.
Claude redet eine Weile … Jesus sagt ab und zu „O.K. … O.K !“
Dann lachen beide … klopfen sich gegenseitig auf die Schultern.

Inzwischen sind wir über die Berge gegangen, laufen bergab durch eine Märchenlandschaft, die mit jedem Meter schöner wird. Wir folgen einem klaren kleinen Bach durch ein schmales Tal.
Von Weitem höre ich den Ocean rauschen.
Nach einer kurzen Rast, in der Jesus Manna verteilt … ich bekomme auch ein Stück ab, schmeckt wie die chinesischen Bun, die Carol mir in Homer schenkte und  nachdem Jesus jedem eine halbe Kokosnussschale voll Bachwasser in Wein verwandelt hat … und nachdem wir alle ein wenig geschlafen haben. Gehen wir noch vielleicht eine halbe Stunde weiter, bis wir am Strand des Pacific ankommen.
Links am Bach liegt ein kleines Dorf.
Claude lacht vor Freude und schreit: „Das ist mein Dorf … Das ist mein Dorf!“

Jesus nimmt ihn bei den Schultern schaut ihm tief in die Augen, wie nur Jesus das kann und spricht: „Denk dran Claude! … Du gehörst jetzt in die Welt der Toten! Die Lebenden sehen und hören Dich nicht! Nur Deine verstorbenen Vorfahren sind mit Dir. Lass die Lebenden ihr eigenes Leben leben … misch Dich nicht ein!“ Claude senkt den Kopf, nickt und bedankt sich bei Jesus.

Dann geht er davon … er scheint zu schweben … um ihn ist etwas wie eine bläuliche Aura. 
Aus den Bäumen, dem Meer, aus dem Bach den Tieren und Pflanzen erheben sich ebenfalls bläuliche Gestalten, teils deutlich, teils verschwommen, die Claude umkreisen und begrüssen … ein Gesang wie Milliarden von Vögeln liegt in der Luft, der Wind lässt die Blätter rauschen, der Bach murmelt, dazu der dumpfer Bass eines Blowholes und das Grollen der Wellen auf den schwarzen Lavasteinen.

So verschwindet Claude langsam in einem weiss-blauen Leuchten, bleibt nun für immer in seinem Dorf, sieht seine Enkelkinder aufwachsen, heiraten und selber Kinder bekommen und manchmal in der Nacht, wenn Jesus grad nicht guckt, erzählt er ihnen vielleicht im Traum eine Geschichte, die ihre Geschicke in eine wunderbare Richtung lenken mag.

Jesus und ich bleiben allein am Strand zurück.
„ … und was ist mit Dir?“ fragt er mich „denkst Du Du bist tot?
… Mann … Du bist bloss eingeschlafen!“

„Wach auf Du Idiot … schläft Der hier auf dem Friedhof ein … haste das blaue Leuchten über dem Grab da drüben gesehen, bisschen unheimlich hier oder?“

Neben mir sitzt Foftain, rüttelt mich an der Schulter.
„Ja, hab ich gesehen … das is O.K. … is nur Claude!“
Foftain guckt mich befremdet an.
„Komm lass uns los … rauf zum Wasserfall“

Foto nicht von mir sondern von ... https://www.travelita.ch/top-tipps-kauai/


Wir fahren also zum Wasserfall, ich fotografiere und Foftain quatscht irgendwelche Mädels an, der Wasserfall interessiert ihn jedenfalls einen feuchten Käse.
So packe ich mir den Kerl am Ärmel, setz ihn ins Auto und wir fahren zurück ins Tal.

Unterwegs verstopft ein Pickup den schmalen Zufahrtsweg. Er hätte Platz zum rangieren und die anderen Wagen durch zu lassen … tut er aber nicht.
Foftain regt sich total über den Idioten auf.
Als wir endlich an ihm vorbei fahren, sehe ich einen jungen Inder am Lenkrad hinter dem offen Fenster … Foftains Fenster ist auch offen … er sagt dem Inder „Asshole!“ schön laut und deutlich und mitten ins Gesicht.
Dann grinse er mich an und sag „ Ey komm Mann … der versteht eh kein Englisch!“

„Soweit ich weiss, ist Englisch eine der indischen Amtssprachen“ geb ich ihm zurück. 
Foftain sitzt mit offenem Mund da.
Ich boxe ihm auf die Schulter … 
„Ey komm Mann“ … äffe ich ihn nach … „ … der versteht eh kein Englisch!“

„ … ausserdem wusstest Du schon, dass Jesus flucht wie ein verdammter Kesselflicker?!“





Für eine gute Freundin

Entworfen am Abend des 16. July 2018
Editiert und gepostet am 17. July 2018 um 18:23h in Koloa, Poipu B&B, Kaua`i, Hawaii


Im Autoradio singt derweil > Marvin Gaye <









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