Donnerstag, 27. September 2018

Touch Down



Heute, 3 Wochen nachdem ich wieder in mein langjähriges Leben zurückgeflogen bin, beschäftigt mich die Frage:

Was bleibt mir von meiner Reise?
Zuvor aber … zum besseren Verständnis, muss ich Euch noch etwas erzählen:

Was ich eben bisher verschwiegen habe, ist, dass ich „Eins von den 50 Dingen, die man getan haben muss, 
bevor man stirbt“ getan hab.
Ich habe am letzten Tag meiner Reise eine Hafenrundfahrt in Hongkong gemacht.
Mal abgesehen davon, dass es, meiner Meinung nach, höchstens für einen der hinteren Plätze der „500 Dingen die man getan haben muss, bevor man stirbt“ langen würde, werde ich diesen Ausflug wohl nicht so schnell vergessen.

So sass ich mit den anderen Passagiere an der Hafenmole und warteten auf das Schiff für die Hafenrundfahrt. 
Sie kamen von überall, Chinesen vor allem, ein paar furchtbare Machos aus Portugal oder Brasilien, ein altes Ehepaar das eine slawische Sprache sprach, ein holländisches Ehepaar mit 4 Kindern. Die waren echt nett, der Vater hatte 6 Kafi gekauften, das gab Diskussion zw. den Eltern, weil der jüngste scheinbar noch keinen Kafi trinken sollte. Der Vater hat daraufhin wortlos, aber grinsend, mir einen Becher in die Hand gedrückt.

Ein Junge von vielleicht 20 Jahren … sah irgendwie amerikanisch aus und ein Mädel im gleichen Alter … ich konnte nicht erkennen ob sie zusammen gehörten oder nicht … oder grad Krach miteinander hatten … keiner von beiden sprach und sie sassen 2 Bänke auseinander und guckten sich nicht an.

Das Mädel sass mir am nächsten … ich konnte sie aber eigentlich nicht genau sehen, denn sie hielt den Kopf gesenkt und die langen verklebten, strähnigen Haare hingen vor ihr Gesicht. Also hab ich ihr zugeschaut, weil ich sah, dass sie komisch atmete, als habe sie bis grad eben noch geweint und sich immer mal wieder die Augen wischte. Seltsam an ihr war, dass sie roch … einen Geruch den ich kannte, aber nicht zuordnen konnte in dem Moment, aber noch viel seltsamer waren ihre Füsse. 
Sie trug Birkenstocksandalen und keine Socken. Ihre Füsse waren sehr breit und irgendwie unproportional kurz, die Zehen jedoch lang auf Kosten des Mittelfusses. Da sie den Kopf gesenkt hielt und mit sich dem Oberkörper leicht vor und zurück wiegte, als wolle sie sich beruhigen, musste sie, um im Sitzen nicht vornüber zu kippen, sich mit den Fussballen und Zehen fest auf dem Boden aufstützen. Jedesmal wenn sie nach vorn wippte, gingen natürlich, durch das höhere Gewicht, die Zehen leicht auseinander. So konnte ich sehen, dass die Zehen nicht einzeln standen, sondern alle miteinander verbunden waren.
Sowas kannte ich schon, von einem früheren Klassenkameraden … zwar nicht so ausgeprägt wie bei ihr … aber es kam es mir nicht so seltsam vor in, diesem Augenblick … wie es vielleicht hätte sollen.


Was aber viel intensiver meine Aufmerksamkeit auf ihre Füsse und Knöchel lenkte, war die Farbe ihre Haut … und deren Aufbau … ich kann das nicht besser sagen.
Die Haut war grünlich-bläulich als sei ringsherum ein älteres Hämatom, ausserdem wirkte sie irgendwie rau oder schuppig wie bei einer Schlange. Am auffälligsten aber fand ich, dass die Adern blau und dick hervor standen und auf eine nicht normale Art verliefen … natürlich weiss ich nicht, wie Adern verlaufen müssten, aber dies war eindeutig nicht die richtige Anatomie.

Dann lenkten mich die Holländer ab, sie konnten alle gut Deutsch und fragten mich aus, in welchem Hotel ich wohne, wo ich her komme und wo ich vorher gewesen war. Als ich ihnen sagte, dass ich in New York gestartet bin und über Alaska und Hawaii und Japan herüber kam, sagte die Frau zu ihrer Familie „Ik denk dat de oude man liegt!“ … aber so viel Holländisch kann ich dann doch noch … und hab ihr auf Plattdeutsch geantwortet „Nee, dat doot der nich!“  und hab mein iPhone rausgeholt und ihr Fotos gezeigt … ein paar von jedem Land.
„Warum hast Du das gemacht?“ fragte sie mich, als habe ich was furchtbar Dummes getan.
„Na, weil`s mir Spass macht“ 
Es stellte sich raus, dass sie von Amsterdam für eine Woche nach Hongkong geflogen waren, weil einer ihrer Söhne hier wohnt und die Mutter hatte schon so genug von der Stadt, alles sei so „vies“ und „zoveel mensen“ sie habe „schrikkelijk veel heimwee“.
„Ich werde nie seekrank und ich habe nie Heimweh … also muss ich reisen“ hab ich ihr gesagt, das schien ihr einzuleuchten und sie musste lachen.

Inzwischen hatte unser Schiff angelegt und wir gingen an Bord.
Ich mochte nicht in der Kabine bleiben und die Holländer besetzten den offenen Raum am Bug so ging ich am Heck nach draussen, selbst nach +/- 4 Monaten war ich immer noch gern allein, jedenfalls meistens.
Ich photographierte die Skyline von Hongkong, sie ist wirklich beeindruckend und ich sass und schaute und träumte und dachte an meine Reise, die nun zu Ende ging. Bilder stiegen in mir auf von New York und Alaska und ich musste schmunzeln und das gleichmässige Tuckern des Schiffsmotors lullte mich ein.

Durch die Scheibe der Türe konnte ich in die Kabine schauen und sah, wie einer von den portugiesisch/brasilianischen Machos das Mädel mit den seltsamen Füssen anquatsche. Sie schaute auf und so konnte ich zum ersten Mal ihr Gesicht sehen und ich bekam einen furchtbaren Schreck!
Da waren sie wieder, diese ozeanblauen Augen, dieser wilde Blick, verschmiertes Make-up … diesmal dachte ich nicht, dass ich sie kenne, diesmal wusste ich es.

Sie stand auf, war nicht ganz so gross, wie der Typ der sie an zu baggern versuchte, aber er wich vor ihrem Blick zurück, in dem nicht der Hauch von Unsicherheit war. Ich sah wie sie mit ihm sprach und wie er sich wie ein geschlagener Hund verdrückte, zu seinen Freunden.

Sie kam raus zu mir, setze sich genau gegenüber von mir auf die Bank und guckte mir direkt in die Augen. Es war ein so vertrauter Blick, dass ich ihm in Ruhe stand hielt.

Ohne ihren Blick abzuwenden, begann sie sich die  Haare mit den Fingern zu kämmten, drehte sie mit einer einzigen Bewegung oben zusammen, holte einen Chopstick aus der Kängurutasche ihres Shirts und steckte sie fest.

Ich schaute auf ihre Füsse, die Zehen waren nun gar nicht mehr voneinander zu unterscheiden, 
sie erinnerten eher an ein Paar Taucherflossen für Kinder in einem etwas seltsamen geratenen Grün.

Sie sah meinen Blick und grinste schief, dann griff sie ihr Shirt am unteren Saum, begann es hoch zu ziehen, liess es aber gleich wieder runter und zuckte mit den Schultern: 
„Sorry I have to go and You too“
Ich konnte nicht anders, nahm meinen Mut zusammen, ging zu ihr, streichelte sie übers Haar, es war feucht und roch … und plötzlich wusste ich wonach sie roch … sie roch nach grünen Algen und Seetang, nach salziger Brandung und ein wenig nach frischen Muscheln.

Sie zog sich in aller Ruhe die Oberbekleidung aus. Ihre Haut schimmerte wie grünbläuliches Quecksilber. Wir standen eine Weile voreinander, dann umarmte sie mich und ich sie.

„Bye“ sagte sie und löste sich.
Fast schmerzhaft schien es für sie zu sein, auf diesen Füssen das kurze Stück bis zur Reling zu laufen. Dort dreht sie sich nochmals um und lächelte fein „… and stop to drink this canadian hooch“ sagte sie, dann schaute sie wieder aufs Meer hinaus, ging kurz in die Knie und sprang wie ein Katze im hohen Bogen über Bord.
Ich hätte mich wohl erschrecken sollen, oder entsetzt sein, oder sonst eine Emotion entwickeln  … aber nichts dergleichen, es schien mir ganz natürlich was eben passiert war.
Noch lange schaute ich über das Wasser, aber sie tauchte nicht mehr auf.

Es war mir, als erwache ich aus einem Traum und mir wurde klar, dass nun alles vorbei war.
Meine lange Reise war vorüber und es schien mir, als bringe mich der Ausflugsdampfer ins alltägliches Leben zurück.
Die ersten Gebäude der Hafenmole tauchen auf, das Schiff fuhr eine scharfe Kurve, die Maschine senkte ihre Drehzahl und am Kai standen die Helfer zum festmachen bereit.

Ich stand auf warf noch einen Blick zurück und ging von Bord.
Niemand schien zu bemerken, dass das Mädchen verschwunden war. 
Der junge Mann, von dem ich vermutet hatte, er gehöre zu ihr, ging als erster, ohne sich umzuschauen. Er hatte sie offenbar nicht gekannt oder, falls doch, versuchte er sie zu ignorieren, in dem Glauben, sie sei noch irgendwo an Bord.

Erst als ich auf die Hafenpromenade stand, bemerkte ich, das mein Gesicht nass war von Tränen.

Der Flug nach Zürich verlief unspektakulär und in meiner Abschiedsstimmung war ich froh, dass gute Freunde mich am Airport abholten … das brachte mich auf andere Gedanken.

Das Heimkommen war brutal!
Ich habe die ständigen Veränderungen so gern bekommen und nun kam ich an einen Ort, an dem alles so war wie vor 4 Monaten an dem wirklich alles still gestanden hatte, wie eingefroren.

Was wird nun aus all meinen Veränderungen, aus den Erlebnissen, den Begegnungen, den Abenteuern, Freuden und Erfahrungen.
Ich will nicht hier sein, wo mich alles an die Vergangenheit erinnert.
Das Schlimmste ist, alles erinnert mich an mich selber … als sei ich gar nicht weg gewesen, als sei nichts passiert.

Ich fürchte diese Geschichte hat kein Ende, weil ich kein Ende weiss … jedenfalls heute noch nicht. Es gibt keinen Trost, keine Ankunft, kein Erkennen, keine Versöhnung, kein neues Ziel.

Was bleibt, zur Zeit, ist eine Art von Vakuum … und ich hab keine Ahnung mit was ich es füllen soll … jedenfalls nicht mit Whiskey … das hab ich probiert, ernsthaft 2 Wochen lang … der Hohlraum in mir wird nur grösser und noch leerer davon.

So bleibt mir nichts als weiter zu machen …
und während ich so vor mich hin schreibe …
… geht mir jetzt grad in diesem Moment auf … 
… es fühlt sich in mir alles an, wie am Ende einer grossen Liebe.




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Dieser Blog und der verlinkte Photoblog enden hier ... Dank an alle die mich unterstützt haben.

Geschrieben am 4. September um 22:30 am Airport Hongkong vor dem Rückflug nach Zürich.
Aktualisiert  am 25. September, gepostet 27. September 2018, Luzern



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